Sie sind des Teufels“

Das Bild der Ketzer in Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“

Ein unkonventioneller Nachtrag zum „Deutschen Waldensertag“ 2015 in Dornholzhausen

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Es braucht schon einen langen Atem für Umberto Ecos Bestseller „Der Name der Rose“, und doch zählt der Roman zu den meist gelesenen Werken unserer Zeit. Erstaunlich, weil es nicht nur ein Krimi ist, wie er spannender nicht sein könnte. Vielmehr wartet Eco mit einer Geschichte auf, die tief in die weltlichen und kirchlichen Ereignisse des 13. und 14. Jahrhunderts eingebettet ist, die auch das soziale Gefüge berührten. Dabei spielen die Ketzer, zu denen die Waldenser zählten, eine herausragende Rolle.


Der Inhalt kurz und bündig

 

Im Jahr 1327 passieren in einer fiktiven Benediktiner-Abtei im Apennin Dinge, die die gleichförmige Klosterruhe tief erschüttern: innerhalb von nur sieben Tagen werden hier sieben Morde verübt. Für die Aufklärung des ersten Falles, der sich schnell als Mord erweist, gewinnt der schwer getroffene Abt Abbo den für seinen Scharfsinn bekannten William von Baskerville, einen hoch gebildeten, englischen Franziskanerpater und fiktive Hauptfigur des Romans. Seit an Seite mit dem jungen Benediktiner Adson von Melk ist er als Sondergesandter König Ludwigs des Bayern unterwegs zu Klöstern in Italien mit dem Auftrag, in besagter Benediktinerabtei ein Treffen von Delegierten des Franziskanerordens und der päpstlichen Kurie vorzubereiten. Diese residierte damals im französischen Avignon. Zu einer Zeit, da sich religiöse Bewegungen, die die Armut Christi zu ihrem Leitbild erklärten, massiv ausbreiteten, errichtete der Papst dort einen pompösen Palast, der „zur größten Baustelle des Jahrhunderts“ geriet. Mit nichts Geringerem als der „Armut Christi“ sollte sich auch das geplante Treffen befassen und damit endlich zu einer Einigung über einen zentralen Begriff finden, der die Kirche zu sprengen drohte. Ganz am Ende der Handlung, als die Verbrechen aufgeklärt sind, erfahren wir von Adson, der als Greis von den grausigen Taten berichtet, dass das Scriptorium und die Bibliothek, die nur Befugte betreten durften, mit ihren Handschriften und weiteren Kostbarkeiten in Flammen aufgingen. Verbrannt wurde dabei auch das 2. Buch der „Poetik“ des Aristoteles über die Komödie, ein Codex, der in Wirklichkeit verschollen ist. Dass eine Schrift, in der der große Philosoph über das Lachen räsoniert, ein fanatischer Bibliothekar, der auch noch blind war, wie seinen Augapfel gehütet hatte, macht deutlich, welch hohe Bedeutung man ihr beimaß. Genau in einer Phase, in der es für die Abtei wahrlich nichts zu lachen gab, erlangte eine Schrift über das Lachen eine Schlüsselrolle.

 

Das Lachen

 Allen Ernstes geht es im Roman immer wieder um das Lachen. Man kann es kaum glauben: pures Lachen konnte bei einem ehrwürdigen Kirchenmann durchaus Unbehagen auslösen. Aus der Vorstellung, dass für Lebensfreude gemeinhin wenig Platz sei, kam dem Lachen besondere Bedeutung zu. Denn, so wurde argumentiert, Christus habe dreimal geweint, niemals jedoch gelacht. Auch aufgrund seiner Sündhaftigkeit dürfe der Mensch niemals ausgelassen lachen. Lachen entstelle zudem „die Gesichtszüge und [mache] die Menschen den Affen gleich“. Vor allem aber könne Lachen die Autorität des Papstes in Zweifel ziehen, und an dem Punkt nähere man sich gefährlich der Ketzerei. Genau um dieses Lachen liefern sich William von Baskerville und ein blinder Greis in schwarzer Kutte namens Jorge de Burgos, der über die Bibliothek wacht, einen grandiosen Disput. Damit einher gehen gedankenreiche Dialoge, die die Reflexionen, leidenschaftlichen Debatten und gelehrten theologisch-philosophischen Dispute der Zeitgenossen über den Strom von Ketzern widerspiegeln, der sich seit bald zwei Jahrhunderten über den Süden Frankreichs und über Oberitalien ergoss und die Amtskirche ernsthaft in Bedrängnis brachte. Wie eng die beiden Themenbereiche – das Lachen und die Ketzer – miteinander verknüpft sind, stellt sich allerdings erst am Ende des Romans heraus.


Mittelalterliches Ketzertum

Es ist nicht leicht, sich ein genaues Bild von den religiösen Bewegungen in den durch die Tuchindustrie reich gewordenen Städten Südfrankreichs und Oberitaliens zu machen, die im Hoch- und Spätmittelalter an der Glaubens- und Lebenswelt der bestehenden Kirche zu zweifeln begannen. Was sich als Kirchenkritik Einzelner und als Armutsforderung des reformeifrigen Papstes Gregors VII. im 11. Jahrhundert ankündigte, setzte sich in der Folgezeit mit ganzer Wucht fort und verhalf Gemeinschaften in großer Zahl zum Durchbruch, die sich gegen eine immer reicher werdende Kirche auflehnten. Das Verhältnis von Kirche und Laien lag im argen. Von hier nahmen auch die Bettelorden ihren Ausgang, und nicht wenige, die sich zuvor um die evangelisierenden Laienprediger der Katharer oder der weit verbreiteten Waldenser geschart hatten, wechselten zu den Orden, die neue Bindekräfte entwickelten und,


nachdem sie von der Amtskirche anerkannt worden waren, frei wurden für die Rückkehr zu ihr. Die neuartigen Möglichkeiten von Religiosität machten die häretischen Gemeinschaften attraktiv. Wobei viele oft nicht einmal wussten, worin die Unterschiede zwischen den einzelnen Gemeinschaften bestanden. Zu denen, die nicht mit der Amtskirche übereinstimmten und in der Überzeugung des rechten Glaubens sogar ihr Leben riskierten, zählten neben den großen Gruppen der Katharer und der zunächst papsttreuen Waldenser und deren Ablegern der Albigenser und Lombarden auch die Armuts- und Bußbewegung der Humiliaten, die Beginen und Begarden, die Joachimiten und andere wie etwa die der militanten Apostoliker, die sich für Auserwählte Gottes hielten und in blinder Wut gegen reiche Kleriker, Kaufleute und Feudalherren zu Felde zogen – Schreckensgestalten, die man vernichten müsse, wie ihr radikaler Anführer Fra Dolcino erklärte. Als Abkömmlinge der Franziskaner traten schließlich die Spiritualen und Fratizellen auf den Plan. Sie spielen in der schweren Auseinandersetzung mit der Amtskirche des 14. Jahrhunderts eine wesentliche Rolle. Rückkehr zu den ursprünglichen Zielen des Ordens, lautete ihr Forderung, und sie gingen auf in mystischem Verlangen nach einem Leben in Armut. Doch nicht nur sie, nahezu alle diese Gemeinschaften suchten im apostolischen Armutsideal ihr Heil, indem sie auf persönlichen Besitz und jegliches Eigentum verzichteten, von Almosen oder von ihrer Hände Arbeit lebten und dem Volk in einfacher Sprache das Evangelium nahe brachten. Der Verzicht auf irdische Güter einte so Anhänger von Gemeinschaften der unterschiedlichsten Schattierungen. In ihrem Eifer und vehementen Eintreten für die Armut riefen sie den Zorn des Papstes hervor, der sie alle als Ketzer brandmarkte, da sie nicht an der durch die Sakramente begründeten Kirche teilhatten. Stand der Papst für deren Einheit, markierten die Ketzer deren Zerstörung. Gnadenlose Verfolgung zwang viele Gruppen zu einem Dasein im Verborgenen oder sie waren Stigmatisierung und ständiger Bedrohung durch die Inquisition ausgesetzt, bis sie schließlich ausgerottet wurden. Nach jahrhundertelanger Verfolgung wichen die Waldenser, die sich zunehmend von zentralen Glaubenssätzen der Kirche entfernt hatten, in die entlegenen Cottischen Alpen aus, wo sie verstreut lebten und als einzige Ketzerbewegung überdauerten. Im Zuge der Massaker an den Hugenotten im Frankreich des 17. Jhs. wurden sie erneut brutal verfolgt und auch aus diesem Landstrich vertrieben. Viele fanden in protestantischen Fürstentümern jenseits der Landesgrenzen Zuflucht, darunter auch in der Landgrafschaft Hessen-Homburg.

Der Armutsstreit der Franziskaner Zu der Zeit, als William von Baskerville Klöster und Abteien in Italien aufsuchte, um sich ein Bild über deren Standpunkt zu wichtigen aktuellen Fragen zu machen und die Äbte auf ein baldiges Treffen einzustimmen, steckten die Franziskaner in einer tiefen Krise. Dreh- und Angelpunkt war der Streit über die Armut Christi, der den Orden seit langem in Atem hielt und weite Kreise zog. Mit der Spaltung der Franziskaner im späten 13. Jahrhundert in „Konventuale“, die sich dem Konvent des Ordens und damit seiner milden Armutshaltung fügten und „Spirituale“, die, durchdrungen vom Geist der alten Ordensregel, sich außerhalb des Ordens in Einsiedeleien zurückzogen, war der Streit noch lange nicht beendet. 1322 erklärte der Ordensgeneral Michael von Cesena, der die Lehrmeinung der Spiritualen unterstützte, die Armut Christi zur Glaubenswahrheit. Das aber war für den Papst zu viel: Johannes XXII. verhängte über Spiritualen, die verbissen am Erbe des Franziskus festhielten, radikale Armut predigten und sich als „Fratizellen“ (kleine Brüder) wie ein Krebsgeschwür verbreiteten, die Inquisition und erklärte 1323 das Ideal apostolischer Armut für häretisch. Auf dem Gipfel der Auseinandersetzungen ergriff kein Geringerer als der künftige Kaiser, der deutsche König Ludwig, für die Franziskaner Partei und bezichtigte den Papst selbst der Häresie, nachdem dieser dessen Königtum, weil ohne päpstliche Bestätigung zustandegekommen, für ungültig erklärt und Ludwig 1324 exkommuniziert hatte. Waren die Franziskaner nun erbitterte Gegner des Papstes, so erblickte der König in ihnen neue, mächtige Verbündete. Selbst in der abgelegenen Benidiktinerabtei im Apennin schlugen diese Ereignisse noch immer hohe Wellen, zumal der Papst inzwischen Michael von Cesena nach Avignon gerufen hatte und man befürchtete, er würde ihn dort in Haft nehmen

Ecos Position:

Ketzer - primär ein soziales PhänomenDas widersprüchliche Bild, das sich viele Zeitgenossen von den Ketzern machten, entsprach dem konfusen Wirrwarr häretischer Glaubensbewegungen. Dies spiegelt sich klar in den Dialogen des Romans wider, die um den Begriff „Ketzer“ kreisen. „Ketzer“ wurde zu einem Sammelbegriff, der kritiklos auf alle, die nicht auf dem Boden der Kirche standen, seien sie Katharer, Albigenser, Waldenser, Spiritualen, Fratizelli oder andere Gruppen übertragen wurde. Gerade hier lag ein Dilemma, von dem auch die Waldenser betroffen waren. Viele Anhänger hatten Mühe, die komplexen Unterschiede zu erkennen. Eco nimmt sogar den Abt nicht davon aus, von dem man nicht erwarten sollte, dass er den Begriff so grob handhabt. Dieser fand nichts dabei, sie alle in einen Topf zu werfen, „weil sie die Ordnung der zivilisierten Welt auf den Kopf stellen“. Dabei hatte er selbst Ubertin von Casale, dem geistigen Führer der Spiritualen, Zuflucht geboten, als ihm eine Anklage wegen Ketzerei drohte. Nicht nur das: auch zwei Mönche seiner Abtei sollen zeitweise dem berüchtigten Fra Dolcino gefolgt sein, des Führers der militanten Apostoliker. Für den Abt aber waren selbst die Fratizelli - immerhin Abkömmlinge der Franziskaner – „blutrünstige Ketzer, die sich schlimmster Verbrechen schuldig gemacht haben“, womit er auf die Apostoliker anspielte, die in ihrem erbitterten Kampf gegen den Reichtum der Welt die Gegend um Vercelli und Novara durch Raub und Mord unsicher machten. Mit denen aber hatten die Minoriten nichts zu tun, weshalb William von Baskerville die Fratizelli in Schutz nimmt. Gewiss, ihr häufig unüberlegtes Handeln sei verwerflich, doch die Grenzen zwischen ihnen und den anderen seien fließend. Für Abbo aber sind wie die lombardischen Patarener, denen er einen anstößigen Lebenswandel vorwirft, alle, ob „Patarener, Katharer, Joachimiten oder Spiritualen aller Schattierungen“ Ketzer und damit nichts anderes „Erscheinungsformen des Bösen“, ungeachtet aller Unterschiede. „Vermischt nicht, was verschieden ist“, mahnt William den Abt und wehrt sich gegen die groteske Gleichsetzung: die Katharer, eine „orientalische Häresie außerhalb der kirchlichen Lehre“, würden die Ehe und die sündhafte Sexualität ablehnen und glaubten nicht an die Hölle. Man könne ihnen daher nicht Dinge anlasten, die andere begangen hatten. Keinesfalls aber dürfe man Katharer und Waldenser verwechseln, auch wenn sie immer in einem Atemzug genannt werden, denn die Waldenser bewegten sich innerhalb der Kirche, während die Katharer, die die Lehre der Dreieinigkeit und das Abendmahl als Sakrament ablehnten, eine eigene Kirche mit äußerst strengen Riten errichtet hätten. Geradezu paradox aber sei es, die Waldenser als ein Synonym für die radikalen Apostoliker zu betrachten, denn wie die Fratizelli seien die Waldenser seit jeher gegen jegliche Form von Gewalt.Weil selbst die Inquisition bei der Verfolgung der Ketzer nicht immer zwischen den verschiedenen Bewegungen unterschied, seien sogar da Ketzer verurteilt worden, wo gar keine Ketzer waren: vier Franziskaner seien einmal nur deshalb zu Kerkerhaft verurteilt worden, weil sie in mystischem Verlangen an radikaler Armut festhielten und sich daran gestoßen hatten, dass der Orden Güter, die nur zu seinem alltäglichen Gebrauch bestimmt waren, in Besitz nehmen durfte. Einerseits ließ die visionäre Kraft einer Frau wie Clara von Montefalco sie zu einer Heiligen werden, anderseits schloss man die Augen vor der Mystik der eingekerkerten Franziskaner und sprang bedenkenlos mit ihnen um wie mit Ketzern. Über diese eklatanten Widersprüche und die grundsätzliche Frage nach der Abgrenzung zwischen Rechtgläubigen und den von der Kirche verdammten radikalen Häretikern geraten einige Akteure des Romans in heftige Dispute. Für Ubertin von Casale zählen die einen zum Reich Gottes, die anderen hingegen sind des Teufels. William indes vermag kaum Unterschiede zu erkennen, vielmehr seien im Fall der eingekerkerten Franziskaner das Handeln beider – der Franziskaner wie Claras von Montefalco - nur krasse Auswüchse ein- und derselben Energie des Willens. Während für den Abt Ketzerei die Kritik an der überlieferten Ordnung ist, sieht William darin einen „Aufschrei der gequälten Kreatur“, die die Hoffnung auf ein besseres Leben restlos verloren hat. Einig aber sind sich beide darin, dass das unterschiedliche Erscheinungsbild der Ketzer nur vordergründig ist, und hier tritt besonders klar Ecos Verständnis zum Vorschein:Nicht der Glaube sei es, der die Mitglieder einer Bewegung zusammenhalte und motiviere, sondern allein die Aussicht auf ein besseres Leben, die Auflehnung gegen den sozialen Ausschluss, gegen Ausgrenzung, Herabsetzung und Ungerechtigkeit, die zum Himmel schreit. Ketzerei sei in Wahrheit nur ein „Ventil“ für tiefe Unzufriedenheit mit der sozialen Situation, ein Ventil für Empörung gegen ein Leben am Rande, das von Krankheit, Hunger und bitterer Armut geprägt ist, lässt er William sagen. Ähnlich äußerst sich William im Gespräch mit seinem Gefährten Adson. Er hält die Ketzer für „Ausgeschlossene, Entrechtete, Entwurzelte und Getretene“, für „Bauern, die nicht mehr von ihrem Land ernährt werden können, Bürger, die keiner Zunft oder Innung angehören“, „die an den Rändern der Herde leben“. In ihrem Hass auf die Reichen scharen sie sich wie Aussätzige zusammen, nur zu bereit, sich Wanderpredigern in die Arme zu werfen – ganz gleich welcher couleur – , die ihnen ein besseres Leben verheißen und die Mächtigen verdammen. Je gnadenloser sie ausgeschlossen werden, umso mehr trachten sie danach, auch die Reichen ins Elend zu stürzen. Daher beteiligen sich an der Verfolgung nicht nur die Inquisition, sondern aus Sorge, sie könnten von den Ketzern am Ende womöglich entmachtet werden, auch städtische Obrigkeiten. Keiner der verderbten Ketzer durfte entkommen.

Benutzte Literatur:

Horst Fuhrmann, Einladung ins Mittelalter. München 4. Aufl. 2009.

Artikel: „Armutsstreit“, „Fra Dolcino“, „Häresie“, “Waldenser“ in: Lexikon des Mittelalters. Bd 1-9. München 1977-1999.

Art. „Häresie“ in: Lexikon für Theologie und Kirche. Bd 1-10. Freiburg i.Br., 3. Aufl. 1993-2001.

Markus T. Mall, Dierk Suhr, Kleine Geschichte der Ketzerei. Ostfildern 2008.

Alexander Patschovsky, Was sind Ketzer? in: Ketzer, Juden, Antichrist. Gesammelte Aufsätze zum 60. Geburtstag von Alexander Patschovsky. Konstanz 2001, S. 258 ff.

Grundlage des Beitrages bildete: Umberto Eco, Der Name der Rose. 18. Aufl. München 1983. Aus ihr stammt die Mehrzahl der Zitate.

 


Text: Ismene Deter

in Zusammenarbeit mit Herbert Schäddel

 

Fotos: Schäddel, Archiv